Der Auschwitzprozess in Detmold ist zu Ende.

Evelin Menne, DIE LINKE. Lippe

Die Überlebenden schilderten das unvorstellbare Grauen im Vernichtungslager Auschwitz. Sie berichteten von den Transporten ohne Nahrung in überfüllten Viehwagons, den Selektionen an der Rampe und im Lager, der Willkür der SS‐Mannschaften, den vielfältigen Grausamkeiten und den unmenschlichen Lebensumständen, denen sie tagtäglich ausgesetzt waren.

Die 'Initiative gegen das Vergessen', die den Prozess mit vielen Veranstaltungen begleitet hatte, hatte am 17. Juni, kurz vor der Urteilsverkündung, an der Alten Synagoge in Detmold zu einer Versammlung im Gedenken an die Opfer aufgerufen.

Wir stellen die dort zu diesem Anlass verlesene Rede hier ein, weil sie eindrücklich den Bogen schlägt zur Situation heute:

Historiker und Sachverständige berichteten über die industrielle Ermordung in den Gaskammern mittels Zyklon B und das systematische Verhungern-lassen bei harter Zwangsarbeit. Durch all diese Aussagen wurde erneut belegt: Auschwitz war ein Vernichtungslager, die Deportation nach Auschwitz ein Todesurteil. Menschen, die nicht sofort nach ihrer Ankunft vergast wurden, leistet unter unmenschlichen Bedingungen Sklavenarbeit für deutsche Unternehmen. Vernichtung durch Arbeit!

UND:

Dieses System funktionierte nur, weil jeder Beteiligte als Teil im Räderwerk das perfiden Systems erst ermöglicht hat: Die Helfer in den Dörfern und Städten, die die jüdischen Menschen zum Sammelplatz der Deportation getrieben haben; die Lokführer, die die Züge fuhren und eben auch die SS‐Wachmannschaften, die für ein „reibungslosen Ablauf“ in den KZs und Vernichtungslagern sorgten. Der Angeklagte, Reinhold Hanning, war von 1943 bis 1944 Wachmann in Auschwitz. Zuvor hat der Freiwillige der Waffen‐SS mit dem Regiment „Der Führer“  an den Eroberungskriegen in den Niederlanden, Nordfrankreich, Serbien und dem Vernichtungskrieg  gegen die Sowjetunion teilgenommen.

Wie fast alle Täter äußert er sich nichtkonkret über das, wofür er in Auschwitz verantwortlich war. Er beschreibt nicht, was er gemacht hat, fühlt sich nicht verantwortlich. Er gibt zu, was nicht zu leugnen ist, hat aber selber mit den Morden nichts zu tun. Er „begleitete Häftlinge zur Arbeit“, mehr nicht. Er gibt an, lieber bei seinen Kameraden an der Front gewesen zu sein; lobt die Kameradschaft und dass dort einer für den anderen einstand. Auch diese Einstellung zeigt, wie wenig er sich mit dem verbrecherischen Krieg auseinandergesetzt hat.

Einheiten der Waffen‐SS waren für viele Massaker verantwortlich, das größte in Westeuropa, in Oradour‐sur‐Glane mit 642 Toten, verübte das SS‐Panzergrenadier‐Regiment 4 „Der Führer“. In dem französischen Dorf wurden am 10.06.1944 die Männer und älteren Jungen erschossen; die Frauen und Kinder in der Kirche eingesperrt, die dann in Brand gesetzt wurde.

Die SS‐Panzerdivision „Das Reich“ hängte einen Tag vorher im französischen Tulle, mitten in der Stadt, 98 Menschen an Balkonen und Laternen auf. Die Stricke wurden vorher bei der Bevölkerung eingetrieben. Einwohner wurden zum Zuschauen gezwungen, während sich SSler auf der Terrasse eines Cafés aufhielten und sich bei Musik vergnügten.

Die Waffen‐SS war „Elitetruppe“, besser ausgebildet und besser ausgestattet als die Wehrmacht. Mit besonderer Härte und Grausamkeit ging sie vor allem gegen die Zivilbevölkerung vor. Sie wurde 1946 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, neben der SS, als verbrecherische Organisation verboten.

Wir, die Initiative „Gegen das Vergessen“ haben den Auschwitz‐Prozess mit einer Reihe von Veranstaltungen begleitet.

Wir wissen, dass auch dieser Prozess den Opfern keine Gerechtigkeit bringen kann und schon gar keine Wiedergutmachung. Aber er ließ die Überlebenden zu Wort kommen, die noch berichten können, von den Grausamkeiten, die ihnen von der Herrenmenschenrasse angetan wurden. Er zwingt uns auch in die aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzung: wie sieht es heute, 71 Jahre später,  in unserem Land aus? Was haben wir aus der Geschichte gelernt? Wie gehen wir um mit den Geflüchteten, die hier Schutz vor Verfolgung und Krieg suchen? Wie gehen wir um mit Sinti und Roma? Wie gehen wir um mit Juden und Muslimen?

Seit Jahren prägen Angriffe auf Synagogen, Beleidigungen, Körperverletzungen und schwer bewachte Schulen und jüdische Einrichtungen den Alltag der jüdischen Menschen in unserem Land. Brennende Flüchtlingsunterkünfte, Mord und ‐anschläge auf „nichtdeutsche“  Menschen und Andersdenkende, die zahlreichen Aufmärsche von Neonazis und  vor Rechten kapitulierende Bürgermeister, sprechen eine deutliche Sprache.

Tausende kommen, wenn Pegida, Legida, Hogesa und wie sie alle heißen, zur rassistischen Attacke blasen um ihr Abendland zu retten. Mit offenem Rassismus und Hetze fährt die AfD zweistellige Wahlergebnisse ein.

Wie ist es möglich, dass der NSU, unterwandert von Spitzeln des Verfassungsschutzes, über Jahre unentdeckt, 10 Menschen töten, 14 Raubüberfälle und 3 Sprengstoffanschläge verüben konnte? Wie ernst ist es den staatlichen Stellen hier mit Aufklärung?

Zum Stichtag 15.09.2015 waren 450 Haftbefehle gegen 372 rechte Straftäter nicht vollstreckt, warum nicht?

Nicht nur zum Entsetzen von Opfern und deren Angehörigen konnte die notorische Holocaust‐Leugnerin Ursula Haverbeck‐Wetzel ungehindert am Auschwitzprozess teilnehmen. Immer wieder leugnet sie die Existenz von Gaskammern in Auschwitz. Immer wieder bezeichnet sie den Holocaust als „Lüge“. Das ist strafbar, eine Konsequenz seitens der Justiz im Fall Haverbeck aber nicht erkennbar.

Antisemitismus und die rassistische Ideologie sind mit dem Ende des Faschismus in diesem Land nicht verschwunden. Neonazistische Organisationen können fast ungehindert wirken. Werden sie dennoch gelegentlich verboten, machen sie weiter‐ und der Staatsschutz schaut weg, auch in Detmold: Toleranz statt konsequenter Strafverfolgung!

 

Dateien